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HOPE ON THE EDGE @ Yvonne Hohner Contemporary, Karlsruhe


GRETTA LOUW & MARIA BRAUNE

Skulpturen, Video, Materialarbeiten

Kuratorin: Anabel Roque Rodríguez

Wir leben in einer Zeit des stetigen Wandels, die erfordern, dass wir uns an die Gegebenheiten anpassen. Und doch fragen sich viele, wie eine ständig wechselnde Normalität aussehen könnte, wie wir eine bessere Zukunft gestalten sollen, wenn die gegenwärtige Realität uns mit all ihrer Schwere immer wieder hart auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Der Titel Hope on the Edge kann doppeldeutig gelesen werden: Als Hoffnung an einer Kante – stellvertretend als Moment des Umbruchs und mit einem mulmigen Gefühl verbunden, aber auch als personifizierte Hoffnung, die vor eine Zerreisprobe gestellt wird, so dass sie selbst an den Rand ihrer Möglichkeiten gerät.

Die Ausstellung versteht Hoffnung nicht als naives Wegschauen, sondern als mutiges sich auf neue Prozesse einlassen. KünstlerInnen kennen diese Schöpfungskraft, die einen animiert trotz oder gerade wegen allen Umständen weiterzumachen. Hoffnung als modus operandi, als die Wahl zu handeln, aktiv über Prozesse nachzudenken und andere Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Hoffnung als klares Bekenntnis gegen paralysierenden Zynismus, wie in die Autorin und Denkerin Maria Popova beschreibt:

„Don’t just resist cynicism — fight it actively. Fight it in yourself, for this ungainly beast lays dormant in each of us, and counter it in those you love and engage with, by modeling its opposite. Cynicism often masquerades as nobler faculties and dispositions, but is categorically inferior. Unlike that great Rilkean life-expanding doubt, it is a contracting force. Unlike critical thinking, that pillar of reason and necessary counterpart to hope, it is inherently uncreative, unconstructive, and spiritually corrosive. Life, like the universe itself, tolerates no stasis — in the absence of growth, decay usurps the order. Like all forms of destruction, cynicism is infinitely easier and lazier than construction.[…].“

Die beiden Künstlerinnen der Ausstellung, Gretta Louw und Maria Braune, zeigen uns in ihren Arbeiten, wie ihre künstlerische Praxis sich immer wieder mutig neu dem Leben stellt. Hoffnung tritt bei den Künstlerinnen als Auseinandersetzung mit Material, Organismen und Lebewesen auf, die sich der Kontrolle des Menschen entziehen und stattdessen zeigen, dass sich alles Leben anpasst und unter neuen Bedingungen auch neue Fertigkeiten ausbildet. Es ist ein klares Bekenntnis zur Symbiose und weniger ein Denken in Kategorien.

Die Arbeiten der Künstlerinnen erscheinen auf den ersten Blick unterschiedlich und weisen doch viele Überlappungen auf: beide gehen rechercheintensiv an neue Themen heran und verarbeiten in ihrer Kunst wissenschaftliche, mythologische und technische Fragestellungen.

Maria Braune arbeitet seit vielen Jahren an der Entwicklung eines eigenen Werkstoffes: Migma, der sich aus acht natürlichen, nachwachsenden Rohstoffen zusammensetzt. Dafür hat sie ein eigenes Verfahren entwickelt, in dem das Gemisch erhitzt, gegossen und während des mehrwöchigen Trocknungsprozesses geformt wird. In dieser Zeit fügt sie weitere, industriell gefertigter Materialien hinzu: es entstehen Brüche, Veränderungen, aber auch sinnliche Formationen, die in den Raum wachsen, wuchern und ihren Platz beanspruchen. Ihre Arbeiten geben interessante Einblicke in Prozesse des Wachstums, gerade auch wenn Wachstum unkontrolliert in Wucherungen übergeht; stellt aber auch Fragen zu Transformation, Symbiose und Zerfall.

Maria Braunes künstlerischer Prozess ist völlig im Jetzt verankert, sie reagiert auf die Gegebenheiten des Materials und gibt in dieser Beziehung Einblicke in den Schaffensprozess als Teil eines Ökosystems mit allen Fragen zu Struktur, Evolution und Prozessen. Material ist hier hochlebendige Materie, die zusammen mit mythologischen und narrativen Strukturen eine eigene Welt in Beziehung setzt.

Gretta Louws künstlerische Praxis verbindet Disziplinen und orientiert sich an den Grenzen und Überlappungen von artifiziellen und organischen Systemen. Die Künstlerin hat eine eigene Ikonographie für ihre Arbeit im Digitalen gesucht und dabei beobachtet, dass Menschen beim Einführen von Innovation auf bekannte Gedankenbilder zurückgreifen, die aber auch gleichermaßen zeigen, wie manipulativ Sprache durch Beziehungen zu Bekanntem sein kann.

Speichersysteme werden zu Clouds, sollen mit dem Immateriellen und Leichten konnotiert werden, und doch ist die Realität, dass Daten riesige Rechenzentren benötigen und Massen an Ressourcen für die Kühlung verschlingen. Auch in den Arbeiten von Gretta Louw tauchen Wolken als Bildsprache in Anlehnung zum Digitalen auf, doch sie hinterfragt hier die subtil leichte Konnotation und führt uns vor Augen, dass unser unerschöpfliche Datenwahn alles andere als himmlisch ist. In ihren Arbeiten tauchen Quallen und Kraken auf, auch hier in Anlehnung zum Digitalen bei denen es im Deutschen das Bild der Datenkrake gibt. Die Qualle wird zu einem zentralen Motiv im Narrativ von "Einen Riesigen Schwarm". Es sind ästhetisch anmutende Meerestiere, zugleich sind aber auch viele Arten davon gefährlich für den Menschen. In ihrer umfangreichen Recherche ergaben sich plötzlich immer mehr Schnittmengen mit den Tieren so ist sie z.B. auf Artikel gestoßen, bei denen Schwärme an Quallen an Atomkraftwerken in die Wasserzuleitungen geschwommen sind. In ihren neueren Arbeiten tauchen immer wieder Bilder zu Verknüpfungen auf, Knoten, organische anmutende Nervenbahnen, die auch visualisierte Datenströme sein könnten. Es ist ein notwendiges Nachdenken, wie Wissen produziert und verarbeitet wird und dadurch in Zirkulation bleibt. Es ist auch ein Hinterfragen davon, welches Wissen erhalten bleibt und so unsere Zukunft gestaltet.

Die Ausstellung macht Platz für futuristisches Denken in der Gegenwart. Stellt Fragen danach, wie der Mensch in eine andere Beziehung zur Welt treten kann und sucht nach einer neuen visuellen Sprache für die Art unseres Handelns als Teil des Ökosystems.

Hope on the Edge zeigt Hoffnung als einen Schaffensmotor und präsentiert künstlerische Praktiken an den Polen des Artifiziellen und Organischen, zwischen menschlicher Kontrolle und natürlicher Reaktion, zwischen Formen und Anpassungen zwischen Katastrophe und Chance. Eine Ausstellung unter dem Mantra: wenn die Ränder sich verschieben, muss das Zentrum neu bestimmt werden – Hope on the Edge.

Text: Anabel Roque Rodríguez

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